Sind Blogger die Journalisten von Morgen?

Ich weiß nicht, ob diese Beobachtung vielleicht etwas voreingenommen ist, weil ich schon länger die Meinung vertrete, dass der institutionalisierte Journalismus (also der Journalismus, der primär aus den etablierten Redaktionen der großen Verlagshäuser kommt) auf dem absteigenden Ast ist. Vielleicht lese ich auch nur die falschen Sachen und sollte mich in dieser Frage wieder mehr mit den klassischen Medien beschäftigen, aber es lassen sich in letzter Zeit deutliche Anzeichen dafür finden, dass meine Vermutung nicht ganz unbegründet ist. Hier ein paar Punkte, die mir in der letzten Zeit aufgefallen sind:

  1. Journalismus ohne Festanstellung: Dieser Trend ist nicht wirklich neu und trotzdem signifikant für das oben beschriebene Phänomen: Unter dem Diktat der Profitmaximierung gibt es heute im Journalismus kaum noch feste Anstellungen. Journalisten sind in vielen Fällen entweder freie MA oder aber pauschalierte feste freie MA. In der Medienwirtschaft beträgt der Anteil der freien Mitarbeiter und Selbstständigen 51 %. Das heißt im Gegenzug aber auch, dass sich die Journalisten in ein immer weniger abhängiges Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber bewegen. Vom freien Journalisten zum eigenständig auf seiner eigenen (Blog-) Plattform publizierenden Journalisten, der sich z.B. über Adsense finanziert ist der Schritt nicht mehr so groß. Das setzt natürlich voraus, dass ein solches Werbemodell auch wirklich einträglich genug ist.
  2. Shift der Werbeeinnahmen: Die USA machen es vor und wir machen es normalerweise nach: Wir sehen in den USA bereits einen Massiven Shift der Verteilung der Werbebudgets hin zu Online. Verschiedene Studien sagen, dass Print (und die sind die Cash-Cows der Verlage) in 5 Jahren nur noch ein Drittel der heutigen Einnahmen aus Werbung zur Verfügung hat. Da die meisten Verlage hoffnungslos konzeptlos beim Umgang mit dem Netz sind, ist das ziemlich existenzbedrohend. Gleichzeitig aber eröffnen sich dadurch neue Einnahm-Quellen für professionelle Blogger im Long Tail der Google-Werbenetze.
  3. Blogger und Journalisten werden gleichgestellt: Einige Unternehmen und Verbände machen es bereits vor: Blogger werden Journalisten immer mehr gleichgestellt. Sei es, dass man als Unternehmen eine Blogger Sektion im Pressebereich öffnet, oder, dass Verbände Blogger mit Journalisten gleichstellen. Wenn Organisationen diese beiden Archetypen immer mehr gleichsetzen, dann ist die Fusion nur eine Frage der Zeit.
  4. Verbesserte Kommunikations und Recherchemöglichkeiten: Noch vor 10 Jahren war der Aufbau eines Ein-Mann-Redaktionsbüros sehr schwierig und kostenintensiv: Telefon, Archiv, Zeitungsexemplare alles verdammt teuer und zeitintensiv… und dann gabs schlicht keine Publikationsplattform. Heute gibt’s Breitband-Internet und CMS-Systeme wie WordPress oder Joomla, mit denen auch Amateure professionelle Websites bauen können. Die Recherche ist einfach, schneller und kostengünstiger geworden und fürs Telefon zahlen wir eh nur noch die Flatrate. Ich habe selbst als Journalist miterlebt, wie man Geschichten für die Zeitung machen kann, ohne das Büro verlassen zu müssen (dürfen). Das ist heute ein Leichtes. Das legendäre Spiegel-Archiv ist natürlich eine feine Sache, aber ist es auch zwingend notwendig für guten Journalismus? Heute können Journalisten auch locker auch ohne die im Verlag dargebotenen Strukturen erfolgreich recherchieren, schreiben und publizieren.
  5. Aufkommmende Hybridformen: Ist wie bei Auto auch: Auf dem Weg zum reinen Elektroauto gibts erstmal den Toyota Prius. Auf dem Weg zum eigenständig publizierenden Journalisten gibt es Journalisten, die teils sehr erfolgreich bloggen: Z.B. Olaf Kolbrück (Horizont), Thomas Cloer (Computerwoche), Thomas Knüwer (Handelsblatt), oder Holger Schmid (FAZ), um nur ein paar zu nennen.
  6. Marketing und PR orientieren sich neu: Am Beispiel des Amazon Kindle kann man das schön beobachten: Die Story poppte zuerst in den großeen US-Blogs hoch und schwappte erst dann in die klassischen Medien. Dahinter steckt mmn. Strategie von Amazon.
  7. Wankelmütige Medien: Die Verleger und die organisierten Berufsjournalisten geraten ins Wanken. Man kann eine recht deutliche Spaltung der Journalistenschaft beobachten. Eco würde sie wahrscheinlich in Apokalyptiker und Integrierte unterteilen. Interessant ist aber, dass, wenn die alten toten Bäume eine hippe Neuerung in ihrem Verlagskonzept hochjubeln, am ende nix anderes dabei rauskommt als die blinde Kopie oder Einbindung von Social Media Tools wie Tagging, Commenting oder Social Bookmarking.

Wenn dem so ist, dann steht nicht nur dem Journalismus ein Paradigmenwechsel vor, sondern auch der PR: Dann werden wir den Fokus klar weg von der klassischen Pressearbeit wegbewegen müssen, um überhaupt ncoh Multiplikatoren zu erreichen. Oder seh ich das zu dramatisch?

3 Gedanken zu „Sind Blogger die Journalisten von Morgen?

  • 12/10/2007 um 18:54
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    Eine interessante Debatte. Der Haken hier: Man geht (stillschweigend) vom aktuellen technischen Stand der Dinge aus. Ebenso statisch scheint die im zweiten Kommentar zitierte Denkweise von Frau Köcher (Allensbach) zu sein.

    Der Blick in die Zukunft muss berücksichtigen, dass:
    1. Immer mehr Leser ihre Nachrichten im Netz suchen (das ist ein langsamer, aber langfristig unumkehrbarer Prozess)
    2. Die Werbung wandert immer mehr ins Netz (wie oben schon erwähnt). Das engt den Handlungspielraum der Printverlage zunehmend ein.
    3. Semantische Software wird in den kommenden 5 bis 10 Jahren im Web vieles über den Haufen werfen und die Karten nochmals neu mischen.

    In der Tendenz sehe ich Blogs als Medium im Vorteil (egal ob dahinter vom Selbstverständnis her ein „Blogger“ oder ein „Journalist“ steht). Und Werbung auf Blogs ist heute schon kein Problem: Google’s Adsense kümmert es nicht, ob die Anzeigen auf einem Long-Tail-Blog stehen oder einem großen Portal. Es zählen die Clicks und nur danach wird abgerechnet. Weitere Modelle dieser Art und basierend auf semantischer Software sind in Entwicklung und ansatzweise auch schon im Einsatz.

    Und was die PR betrifft: Da wird man sich völlig umstellen müssen. Radikal gedacht wird es im Netz vielleicht keine Zeitungen mehr geben, da jeder Leser seine ganz individuell zusammengestellten News konsumieren wird. Wird das zur Realität, müssen die Unternehmen direkt kommunizieren und über eigene Blogs ihre Botschaften in die Welt tragen. Für die PR weniger schlimm als für die (armen) Zeitungen, oder?

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  • 12/03/2007 um 18:43
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    ad 2) und ad 7) aus dem F.A.Z.-Institut >kommunikationsmanager Newsletter Nr. 21 / 2007:

    Allensbach: Internet keine Existenzgefahr für Print
    Die digitalen Medien stellen für das klassische Print keine Existenzgefahr dar, diese Einschätzung vertrat Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, auf dem VDZ Zeitschriftenkongress. Nach ihrer Ansicht sind die Mediennutzungsgewohnheiten vielmehr zielgruppenspezifisch. Zudem nehmen Print und Online unterschiedliche Funktionen wahr, was bei der Strategiefindung der Verlagshäuser konsequenter berücksichtigt werden müsse. Ein stärkeres Bekenntnis zur eigenen Marke und zur Gattung Print forderte Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Er verwies darauf, dass 90 Prozent der Zeit-Umsätze mit Print erzielt werden. Anders sieht die Situation bei Special-Interest-Verlagen wie etwa IDG Magazine Media, München, aus. Online erwirtschafte bereits heute 18 Prozent des deutschen Umsatzes, in den USA seien es bereits 50 Prozent, sagt Geschäftsführer York von Heimburg. Sein Verlag müsse seinen IT-affinen Nutzern ins Internet folgen, sonst habe er keine Überlebenschance.

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  • 11/30/2007 um 12:37
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    ad 1) Das Phänomen, das Journalisten auch andere Medien nutzen als die, mit denen sie ihre Brötchen verdienen ist nicht neu: Zeitungsjournalisten als Buchschreiber gibt es viele oder Journalisten treten als Experten bzw. Moderatoren von Veranstaltungen auf. Nichts Neues also hier. Im Gegenteil, wenn wir Journalismus so definieren, dass eine gewisse Unabhängigkeit von Interessen gegeben sein sollte, dann erscheint mir das Modell, dass sich der Verleger und seine Anzeigenabteilung ums Geld kümmert und der Journalist um den Content sogar besser, als wenn der einzelne Journalist dringend auf Einnahmen aus seiner Online-Werbung angewiesen ist. Hier besteht die Gefahr m.E. viel mehr, dass er versucht sein könnte, auf spektakuläre, trashige Inhalte oder Spekulationen zu setzen, um seine Click-Raten hochzutreiben. Wollen wir das?

    ad 2) Auf den ersten Blick erscheint diese Analyse zwingend. Ich frage mich jedoch nur, ob die Werbebranche auch schon so weit ist, einzelne Blogger mit niedrigsten Clickraten in ihre globale Werbeplanung mit einzubeziehen. Ob es für Markenkampagnen zielführend ist, mit der Gießkanne über die Blogwelt zu gehen, halte ich für fraglich – nicht zuletzt obs des hohen Aufwands. Hier werden wir aber in Zukunft noch sehen, dass sich entsprechende Werbemodelle entwickeln, ich könnte mir z.B. Werbenetworks von Bloggern vorstellen, die sich gemeinsam vermarkten – so wie ja auch die FAZ und SZ ihre Stellenanzeigen gemeinsam vermarkten. Ich erinnere mich an Diskussionen, dass Google Adsense derzeit noch nicht das Überleben eines einzelnen Bloggers sichern kann (das war zumindest vor 1,5 Jahren so, siehe z.b. http://www.basicthinking.de/blog/2006/02/16/von-blogwerbung-leben/, etwas aktueller zu Werbung und Marketing in Blogs unter http://blog.helmschrott.de/marketing/werbung-in-weblogs-so-ja-nun-auch-nicht)

    ad 3) Sehr spannend. Ich gehe aber davon aus, dass professionelle Pressestellen hier immer ein Einzelfallentscheidung treffen werden (müssen). Nur weil jemand einen Blog hat, muss er noch lange nicht als Journalist behandelt werden. Hier werden zahlreiche zusätzliche Kriterien herangezogen werden: angefangen vom optischen Auftritt bis hin zu einer Prüfung der Inhalte. Wie immer liegt es in der Souveränität des Unternehmens bzw. seiner Pressestelle, wie auf kritische Blogger reagiert wird. Im übrigen wird dies ja auch bei klassischen Journalisten so gehandhabt, nur weil einer einmal im Jahr für das örtliche Anzeigenblatt schreibt, wird er wohl noch nicht als Journalist im üblichen Sinne bezeichnet werden können und wird demzufolge durch das Raster der PR-Abteilungen rutschen (sofern das Anzeigenblatt für die nicht interessant ist natürlich).

    ad 4) Korrekt, auch wenn nach wie vor leider nicht alle Breitbandanschluss bekommen können ;-(
    Von den beschriebenen Vorteilen profitieren aber natürlich auch die klassischen Journalisten. Eher stellt sich die Frage ob diese und ihre Verleger verstanden haben, die Möglichkeiten zu nutzen. Beispiel unter: http://www.pflugblatt.de/weintagebuch/2007/11/12/militante-winzer-in-frankreich-aus-der-sz/

    ad 5) Bestätigt meine Einschätzung zu 1: Der Journalist als Berufsbild bleibt, das Medium „Blog“ ergänzt die entsprechende Medienlandschaft.

    ad 6) Zunächst: Wie man im Zeitalter des iPhones so ein Gerät auf den Markt bringen kann ist mir schleierhaft. Die Kampagne beweist allerdings gar nichts, da sowohl die klassischen Medien (auch online) wie auch die Blogger auf den Hype aufgesprungen sind. Es stellt sich die berühmte Frage nach der Henne und dem Ei: waren es die Blogger, die den Hype verursacht haben, oder sind die Blogger auf den Medienhype aufgesprungen und inwiefern – Zusatzei – wurden beide von Amazon instrumentalisiert. Auf jeden Fall lässt die Tatsache, dass alle Beiträge von Bloggern und Journalisten rund um den 20.11. erschienen sind, auf eine integrierte PR-Kampagne schließen…
    Hey, möchte jemand eine Abschlussarbeit schreiben?

    ad 7) Der von dir oben erwähnte „Newsroom für Blogger“ ist übrigens auch nichts anderes als ein Web 2.0 aufgepeppter klassischer Online-Pressebereich. Warum das jetzt ausgerechnet für Blogger besser sein soll und ob klassische Journalisten nichts damit anfangen können sollen, verstehe ich nicht. Ich kann auch nicht erkennen, dass das neue Medium zu einer „Spaltung der Journalistenschaft“ führt. Wie so oft im Leben gibt es Bewahrer und offene Vorangeher – nicht nur bei Journalisten. Die Early Adaptors, egal ob Berufsjournalisten oder Freizeitblogger, machen das Medium populär und die Late Adaptors werden, ob sie wollen oder nicht, sich irgendwann daran gewöhnen und irgendwann ist es selbstverständlich und keiner spricht mehr drüber.

    Ergo: Blogger ersetzen den Berufsjournalisten nicht! Sie liefern ihm ergänzende Informationen und liefern den Rezepienten ungefilterte Eindrücke – und das ist gut so, denn Konkurrenz belebt bekanntlichermaßen das Geschäft. Diese Belebung sorgt für Unruhe, weniger unter den Journalisten, vielmehr unter den Verlegern. Diese stehen unter vergleichbarem Druck wie die Musikindustrie: Dinosaurier eben, die sich nicht schnell genug anpassen können. Also bitte Verleger und deren Journalisten nicht in einen Topf werfen! Und nochmal an dieser Stelle: bitte keine Spaltung von Bloggern und Journalisten – ich bin überzeugt, dass gute Blogger und gute Journalisten mehr gemeinsame als gegensätzliche Interessen haben.

    Und zuletzt: Warum wir Journalismus weiterhin brauchen? Weil sich jemand hauptberuflich (und nicht nur in der Mittagspause oder vor Mitternacht) um die Sichtung, Bewertung und Erklärung von Sachverhalten kümmern muss und Zeit haben muss, Themen auch mal langfristig und tiefgehend zu beobachten. Ich weiß, das klingt idealistisch, so sind Flo’s Annahmen zu den Bloggern aber auch!

    Ach ja: und damit wird kein Paradigmen-Wechsel in der PR fällig, sondern auch nur eine Erweiterung des zu berücksichtigenden Medien- bzw. Multiplikatorenspektrums.

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