Second Life – Genese eines Medienhypes

Was war das doch für ein schöner Hype. Second Life, das neue Internet, die Virtualisierung der Welt. Auf! hin Freunde und Geschäftspartner, die Matrix ruft uns und Millionär kann man auch noch werden.

Für alle, die sich nicht mehr so recht erinnern: Second Life, das war eine Online-Welt, die mal vor gut einem Jahren wie die gesengte Sau durchs mediale Dorf getrieben wurde. Second Life war DAS Hype-Thema. Es wurden sogar Kongresse darin veranstaltet. Und das, ob wohl es nie ein Hype hätte werden dürfen, zumindest, wenn man sich heute die tatsächlichen Zahlen anschaut.

Dennoch: Das Beste an Second Life war der Hype drum herum. Irgendwann setzte wer das Gerücht in die Welt, dass man in Second Life einen Haufen Geld verdienen kann und schwupps waren auch schon alle großen und kleinen Player mit von der Partie: Heute, 2008, kann man mal ein bisschen Bilanz ziehen und sich mal anschauen, was vom Hype übrig geblieben ist. Die ersten Firmen, die sich von Second Life die Eröffnung neuer Markting Kanäle versprochen hatten, beginnen jedenfalls, ihre Zelte abzubrechen.

Laut einem Post-Sprecher, den die “Welt am Sonntag” zitiert, ist “die mangelnde Nutzung des posteigenen Serviceangebots” der Grund für den plötzlichen Ausstieg. Das Spiel werde nicht von der breiten Bevölkerung genutzt, die Bedienung sei oftmals zu kompliziert und die technischen Anforderungen an die Computer zu hoch. Zwar gab es im Dezember 2007 in Deutschland 665.000 registrierte Second Life-Nutzer, davon hat aber nur ein Bruchteil – nämlich 42.000 Personen – ihre Avatare mehr als eine Stunde im Monat benutzt. Bei der Post – so Insider – schauten pro Woche gerade einmal zwischen 700 bis 900 Besucher vorbei. Trotz aufwändiger Marketingaktionen wie zuletzt im Januar die Durchführung virtueller Winterspiele. via

Da stellt man sich doch die Frage: Wie konnten so viele Firmen und Medien diesem Hype aufsitzen? Eine mögliche Antwort ist: Sie sind einem Phänomen aufgesessen, dass zuletzt auch bei Bänkern im Zusammenhang mit Subprimes zu beobachten war. Dem guten alten Herdentrieb. Und zwar Herdentrieb in zweifacher Ausführung, denn erst der mediale Herdentrieb machte den unternehmerischen Herdentrieb erst möglich. Ich habe mir dazu mal die Verteilung der Berichterstattung über SL in den klassischen Medien angeschaut (einfache Recherche bei Genios. die kostet nämlich erst, wenn man auf einzelne Beiträge klickt… was für solche Analysen sehr praktisch ist). Die sieht ungefähr so aus und zeigt, wie sich ein mediengestützter Hype um SL entwickelte:

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Alles beginnt mit einer ganz harmlosen netten Personality Story: Am 27.08.06 titelt die Welt: Reich werden im Paralleluniversum. Es ist das erste Mal, dass sich eine große Tageszeitung über Ailin Gräf, die erste (und einzige?) Second Life Millionärin berichtet. Und weil in den Medien alles eine Sensation ist, muss natürlich auch gleich das neue El Dorado ausgerufen werden.

„Damit wurde sie die reichste Unternehmerin unter den mehr als 500 000 registrierten Charakteren.“ (Die Welt)

Im November springen dann auch FAZ („Die besseren Geschäfte im zweiten Leben„) und z.B. Focus Money („Im Rausch der Breite“ – Nur offline Verfügbar 🙁 ) auf den Zug auf. Die Story: Second Life ist das neue gelobte Land. Hier kann jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden. Ein Hype nimmt Fahrt auf.

Nächste Station: Die großen Unternehmen werden ins Boot geholt. Auch das wird medial begleitet: IBM, Adidas, GM und viele viele andere. Man kann einen wahren Herdentrieb beobachten. Die Marketing Fachpresse berichtet eifrig über die tollen neuen Marketing Welten:

„In der EnBW-Arena von Second Life erhalten die virtuellen Bewohner Trikotsets bestehend aus Hose, Trikot und Socken sowie kostenlose Rucksäcke, die ebenfalls mit Trikotsets gefüllt sind. Für jedes virtuelle Sets, das die Second-Life-Avatare verteilen, bekommen sie 10 Linden-Dollars, die virtuelle Währung in Second Life, gutgeschrieben.“ Horizont

„Die Bewohner von Second Life sollen das Programm von 2nd radio wesentlich mitbestimmen, so RCD-Geschäftsführer Dirk van Loh. Second Life sei „das Labor, in dem wir das Radio der nächsten Generation auf den Weg bringen und neben interaktiven Programmideen auch neue Erlösmodelle wie User-generated Sales testen“ W&V

Und dann der nächste Schritt: Neue Geschäftsideen werden für Second Life entwickelt. Und zwar vornehmlich in Blogs, die mit Ihrem Buzz entscheidend zur vermeintlichen Erfolgsstory Second Life beitragen:

Vom Aufpasser für virtuelle Welten, über die klassische Dienstleistung, bis hin zu SLM, dem Printmagazin zu Second Life (*kopfschüttel*). Jetzt im März 2007 kann sich niemand mehr dem Second Life entziehen. Auch ich muss an dieser Stelle schamvoll gestehen, dass ich damals die Idee hatte, eine PR-Agentur in Second Life aufzuziehen (*rot werd*).

Jedenfalls scheint sich schnell herauszukristallisieren, dass Sex das einzig halbwegs brauchbare Geschäftsmodell im SL ist. Sex ist auch wieder so ein „geiles“ Medienthema, weil man einerseits viele Leser gewinnt und andererseits toll moralisieren kann. Damit beginnt mitten auf dem Höhepunkt des Hypes im März 2007 auch schon wieder der Abstieg.

Im Mai 07 kommen die ersten Meldungen über Pädophilie in SL hoch (ironischer Weise wieder als Erstes in Der Welt, die auch den Stein Ins Rollen brachte). Das ist der Anfang vom Ende des Hypes. Die ganze Erfolgsgeschichte bekommt jetzt einen negativen Spin.

Und den schmutzigen Phantasien sind im Spiel scheinbar keine Grenzen gesetzt. In einem Haus hoch über den Wolken im Spiel treffen sich regelmäßig zahlreiche Spieler, um ihren perversen Phantasien freien Lauf zu lassen. Welt.de

Auch die Unternehmen fangen jetzt erstmals an, nachzuforschen was Ihnen wirklich SL bringt. Die Antworten der empirischen Sozialforschung sind vernichtend.

„Im Moment haben wir pro Tag 200 000 Nutzer – das ist noch eine kleine Zielgruppe“ SL-Gründer Rosedale

„Wie Robinson Crusoe vegetieren die meisten Marken in Second Life vor sich hin. Allein auf leeren Inseln, links liegen gelassen vom Gros der Avatare, die in Linden Labs 3-D-Sphäre herumlümmeln. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Münchner Aquarius Consulting.“ W&V vom 8.6.07

Was bleibt also von SL? Viel verbranntes Kapital, verschwendetes Papier und die Erkenntnis, dass selbst das Herdenverhalten von Medien, Wirtschaft und Blogoshpäre keinen nachhaltigen Trend kreieren kann. Aber immerhin eine gute Gesamtstory, mit viel Geld, Sex und Web 2.0.

4 Gedanken zu „Second Life – Genese eines Medienhypes

  • 02/16/2008 um 23:30
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    Hab ich schon verstanden 🙂

    zu Deinem anderen Punkt: Für mich bringt Second Life im Moment z.B. die Möglichkeit an der Metaverse U Conference virtuell teilzunehmen und mich mit den anwesenden Avataren dort auszutauschen. Coole 3D-Sachen gab es auch schon zu sehen:

    http://metaverse.stanford.edu/attend-all-of-metaverse-u-virtually-free

    Ansonsten ist es halt für mich ein soziales Netzwerk mit 3D-Komponente, das mir auch noch recht viel Kreativität ermöglicht. Außerdem hat man jetzt natürlich noch die Möglichkeit, das ganze mitzugestalten und das ist schon recht cool 🙂

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  • 02/16/2008 um 22:28
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    Hallo Christian,
    Danke für den wertvollen Beitrag zur Diskussion. Mir ging es eigentlich mehr darum, darzustellen, dass die Medienmaschinerie SL nicht als Trend „herbeischreiben“ konnte (und wenn man Dir glaubt, dann kann sie es auch nicht „wegschreiben“ 😉 ). Ob das nun bedeutet, dass SL langfristig erfolgreich sein wird, ist hier eher sekundär. Mir persönlich hat SL keinen Mehrwert gebracht. Ich habe dort nichts gefunden, dass mir nicht auch schon im Internet zu Verfügung stand. Aber das ist mein persönliches Empfinden.

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  • 02/16/2008 um 21:08
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    Schöne Zusammenfassung des Ganzen 🙂
    Was hier passiert zu sein scheint ist eine gewisse Panik, man wollte nicht wieder etwas verpassen, wie damals beim Internet.

    Was gefehlt hat sind allerdings eigene Recherechen und sich erstmal mit Second Life vertraut zu machen. Dann wäre auch klar geworden, dass leere Firmenpräsenzen nichts bringen.

    Und bzgl. mit Sex in Second Life reich werden: Das stimmt so natürlich nicht, haben aber die Journalisten so geschrieben, da es ne schöne Headline ist. Geld verdient man am ehesten wohl mit Landgeschäften wie Anshe Chung oder aber aber mit einem gut geführten Mode-Business oder ähnlichem. Aber all dies ist auch harte Arbeit, vom Himmel fällt leider kein Geld.

    Was nun Second Life selbst betrifft, so besteht es weiterhin und wächst auch weiter (natürlich nicht mehr in dem rasanten Tempo wie damals) und es wird noch viel dran gearbeitet. So wird es bald eine neue Physics- und Scripting-Engine geben, es wird eine neue Grafik-Engine geben und man kann bald einfacher HTML in Second Life nutzen.

    Was noch fehlt sind aber Firmen, die experimentieren wollen und das ganze ernst nehmen. Es gibt ein paar, wie z.B. (allen voran) IBM, Cisco, Amazon, General Motors oder Orange, aber hierzulande eigentlich nicht wirklich (die EnBW engagiert sich da und auch Calli Island floriert meine ich aber sonst Fehlanzeige).

    Ich habe so ein bisschen den Verdacht, dass jetzt alle virtuelle Welten abgeschrieben haben und dass man nachher doch wieder etwas verpasst hat 😉

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