Terror-Twitter ändert die Medienwelt
Das ist ein sehr trauriger Anlass, aber er wird wahrscheinlich aus zweierlei Gründen in die Geschichte eingehen. Erstens als größter Terroranschlag den Bombay gesehen hat. Zweitens der Tag, an dem Twitter zum Medium wurde. Oder wie es Herr Knüwer ausdrückt.
Es war genau der Moment, da der Terror in Bombay begann. Und als ich zwischendurch – unhöflich, ich weiß – mal kurz per Handy auf Twitter schaute, passierte genau das wieder: Während seit rund einer Stunde die ersten Meldungen über mehrere Schießereien und Explosionen gen USA gedrungen waren und dort von einigen Twitteranern diskutiert wurden, war auf deutschen mobilen Web-Seiten allein bei FAZ.net eine Meldung zu finden.
Wärend die Medien noch rätselten, was da los war, twittterten in Bombay die unmittelbaren Nachbarn von Taj und Oberoi was sie an den Fenstern beobachteten. Viel schneller und vor allem unmittelbarer als in den klassischen Medien. Ich hab das hier ein bisschen mitverfolgt und muss sagen es war erschreckend und faszinierend zu gleich.
Momentan bin ich noch zu geschockt, um dieses Ereignis intellektuell zu erfassen. Es geht nur emotional. Ich kann nur für mich sagen, dass das Medienerlebnis extrem real, und irgendwie durch das nicht vorhanden sein von Bilder, sehr sehr eindrücklich und gleichzeitig völlig irreal. Wilde Gerüchte machten die Runde. Bis dahin, dass die indischen Behörden wohl gebeten hätten, das Twittern einzustellen, um den Terroristen ncihtzu verraten, wo die Spezialeinheiten angreifen (was dann aber doch getwittert wurde). Naja. Konstruktivisten hätten ihre wahre Freude an diesen absurden Situationen gehabt. Kenne beide Hotels sehr gut und die Bilder spielten sich im eigenen Kopf ab. Besonders bei Tweets nach dem Motto: „Huge explosion @Oberoi. I can see people there. #Mumbai.“ Die Tweets, eine Mischung aus Augenzeugenberichten, Panik, Propaganda und Gerüchten haben zumindest bei mir eine extrem Verwirrende Realität konstruiert. Und wahrscheinlich war das das realistische daran.
Schon erschreckend, oder? Hunderte Leserreporter reportieren an ein Medium, das eigentlich keines ist. Die Welt ist verrückt geworden, zumindest wenn man ein Medienmacher ist. Aber nicht nur dann. Meine Eltern haben drei Jahre in Bombay gelebt. Ich hoffe alle unsere Bekannten sind wohl auf.
Nur, bei Fox News und Al-Jazeera weiß man, aus welcher Ecke die kommen und was man zu erwarten hat und kann deshalb die verbreitete Nachricht eher einsortieren als bei einem anonymen Twitter. Auch wenn – und weil – man in der Tat den eigenen Kopf bei jeder Lektüre einsetzen muß, halte ich konventionelle Medien für erheblich verläßlicher. So ein Twittersturm führt dann mit den vielen, z.T. widersprüchlichen Aussagen dazu, daß man nur noch stärker verunsichert wird, wenn man versucht, sich daraus ein Bild zu machen. Damit betreiben bzw. betrieben Twitter-Absender das Geschäft der professionellen Desinformanten und in Bombay das der Terroristen, wenn sie nicht sogar selbst welche waren. Ein durchschnittlicher Twitter-Absender hat eben noch nicht einmal ansatzweise das journalistische Handwerkszeug einschließlich Ethos mitbekommen, das konventionelle Journalisten ebenso wie verantwortungsvolle Böogger, Twitter-Schreiber u.ä. haben sollten – ein paar halbwegs anständige Journalisten haben sich bekanntlich nach dem Gladbeck-Desaster für ihr Verhalten entschuldigt.
hm… das „solche und solche“ Problem haben wir ja nicht nur bei Twitter. Wenn ich mir verschiedene Tagesaktuelle Medien anschaue, dann ergibt sich für mich ein ganz ähnlich konfuses Bild der Realität. Man denke nur an die Wahrnehmung des Palestinakonflikts in sagen wir Fox News und Al Djaseera. Und auch das Medien Polizeiarbeit behindern ist per se nichts Neues. Ich erinnere hier an Gladbeck. Ich denke, was man auf jedenfall mitnehmen muss ist, dass Medien, egal welche, den eigenen Verstand nicht ersetzen. Die Realitäten, die sich aus der Vielzahl der Stimmen manifestieren müssen bewertet und eingeordnet werden. Bei der Zeitung ebenso wie bei Twitter. Allerdings führen derart differenzierte Bilder in letzter Konsequenz nur zu der Aussage, dass man zwar viel Information bekommt, dann aber trotzdem nichts weiß. Komisch eigentlich.
Die Bombay-Twitter während der drei Terror-Tage hatten einen Nachteil, oder besser gesagt, der Nachteil, den Twitter haben, zeigte sich dort besonders deutlich. Bei den Absendern der Twitter scheint es eben wie überall solche und solche zu geben. Die Kurzmeldungen ergaben nämlich in bestimmten, höchst gefährlichen Situationen ein höchst widersprüchliches Bild. Offenbar waren entweder ein paar übereifrige Hektiker am Werk, die etwas in die Welt gesetzt haben, ohne es zu überprüfen (das wäre in einer solchen Lage fast verzeihlich) oder genau zu wissen, oder ein paar ganz Fiese haben dieses neue Medium ausgenutzt, um Falschmeldungen zu verbreiten und den Rest der Welt, vor allem aber die Menschen in Bombay zu verunsichern. Außerdem dürfte es die Arbeit der Sicherheitskräfte nicht erleichtert haben. Auch Terroristen wissen mittlerweile, wie Twitter funktionieren. In Zukunft ist also Mißtrauen bei Twitter in einem chaotischen, völlig kontrollfreien Medium noch mehr angezeigt als bei traditionellen Medien.
Nein, nicht die Welt ist verrückt, es sind ein paar, es sind wirklich nur ein paar verrückte Verbrecher, die die Maßstäbe verändert haben, weil man ihren Finanziers zu lange viel zu viel freien Lauf gelassen hat. Gebetsmühlenartiges Gutmenschentum hilft da gar nichts.
Die Bombayer sind bewundernswert. Sie lassen sich nicht unterkriegen, das haben sie schon mehrfach früher gezeigt. Das Café Leopold am Colaba Causeway, wo die ersten Morde geschahen, hat am 30. November ganz bewußt wieder aufgemacht.
Na da fühlt man auch automatisch mit wenn man so Schreckens-Meldungen bekommt. Es wird bei solchen Terroranschlägen auch immer wieder der 11.Sept. wach. Ich frage mich auch wann wird das auf der Welt endlich aufhören mit diesen Anschlägen? Wann wird der Terror auch mal in Deutschland Einzug halten? Die Welt ist verrückt, damit hast du Recht und wenn sich daran nichts ändert wird es auch noch weiter gehen. Es sollte doch auf der ganzen Welt endlich Frieden sein, aber ob wir das bekommen bezweifle ich schon. Hoffe deinen Bekannten geht es gut und sie sind wohlauf.