Prozessintegrierte Kommunikation: Ein Definitionsversuch
Seit ein paar Tagen trage ich ein paar grundsätzliche Ideen mit mir herum, auf die ich mir nicht so recht einen Reim machen kann. Seit über zwei Jahren befasse ich mich jetzt intensiv mit den Möglichkeiten von PR auf Web 2.0-Plattformen, aber irgendwie hatte ich nie das Gefühl, dass es hier ein Konzept gibt, das wirklich rund ist. Klar: Wir reden von Dialogmöglichkeiten, von Microöffentlichkeiten und den ganzen Chancen und Risiken, die das beinhaltet. Aber irgendwie ergibt das alles kein stimmiges Ganzes, kein Grundgerüst, auf dem sich sinnvolle Einzelmaßnahmen zu einem sinnvollen Gesamtkonzept zusammenfassen lassen.
Ist es so, wie Alex Broy das in einem Kommentar hier neulich geschrieben hat? Sind PR und Marketing im Web 2.0 einfach tot?
In den letzten Wochen sind mir zwei Dinge aufgefallen, die vielleicht zu einem Ansatz führen könnten. Das Konzept ist noch sehr unausgegoren und wahrscheinlich nicht vollständig durchdacht, aber ich wollte es einmal niederschreiben, auch, um diese Gedanken mal einem kritischen Test zu unterziehen (erstens, beim Niederschreiben, zweitens durch Euch, liebe Leser). Ich nenne dieses Konzept einfach einmal Prozessintegrierte Kommunikation.
Ich starte mit den beiden auslösenden Beobachtungen, die mich ins Grübeln gebracht haben: Erstens der Aufreger um die neue Vodafone Kampagne und zweitens Berichte darüber, wie Twitter von Unternehmen genutzt wird. Dazu später mehr.
Starten wir mit der Causa Vodafone: ich möchte hier nicht im einzelnen auf die Kritik der User an dieser Aktion eingehen, sondern versuche einmal eine Quintessenz zu isolieren. Ich glaube der Hauptkritikpunkt ist, dass Vodafone eine Werbekampagne startete, die ein Bild dieses Unternehmens zeichnete, welches nur sehr geringe Überschneidungen mit der wahrgenommenen Wirklichkeit der angesprochenen Internet-Community hat(te) (keine wirklich coolen Tarife, keine wirklich coolen Endgeräte, zu teuer, kein VoIP; dafür aber eine Vorreiterrolle in Sachen Zensursula). Die vielleicht etwas selbstgerechte Definition von Vodafone als Provider der Generation Upload empfanden daher viele als Affront, der sich noch dadurch steigerte, dass der Carrier es nicht einmal für nötig erachtete, im gleichen Atemzug neue, attraktivere Tarife und/oder Endgeräte anzubieten. Stattdessen wurde die Blogger-Cartoonistin Schnutinger dazu genötigt, mit einem bestenfalls naiv-platten PR-Posting zum HTC-Magic, virtuellen Selbstmord zu begehen. Es scheint mehr denn je der Fall zu sein, dass Imagedefinitionen und die zu Stakeholdern gepflegten Beziehungen sich sehr viel stärker als früher in der Unternehmensrealität (Produkte/Dienstleistungen/Kultur) widerspiegeln müssen, um glaubwürdig zu sein. Oder auf gut Deutsch: Die Konsumenten lassen sich nicht mehr verarschen. Würde BMW Nutzfahrzeuge bauen, dann können sie auch nicht ihre aktuelle Joy-Kampagne fahren. Im Gegenteil. Es wäre kontraproduktiv, da sie Joy in den allermeisten Fällen nicht mit der Benutzung eines spartanischen Lieferwagens deckt.
Die Zweite Thema hängt stark mit Twitter zusammen. Bzw. Wie Twitter von Unternehmen genutzt wird. Wenn ich als Kunde eines Unternehmens mit dem Produkt unzufrieden bin, kann ich das ventilieren. Für viele Unternehmen wäre dies ein klassischer CRM-Fall. Allerdings: Nutze ich mein Blog oder Twitter zur Unmutsäußerung, dann ist diese Unmutsäußerung nicht mehr länger „nur“ eine einzelne Kunden-Unternehmen-Beziehung, sondern sie bekommt eine öffentlichkeitswirksame Komponente. Einfach gesagt: Wenn ich twittere, dass das Unternehmen X mal wieder einen miesen Service hatte, dann leidet nicht nur meine Beziehung zum Unternehmen, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung dieser Beziehung. Und das wiederum wäre eigentlich ein klassisches Betätigungsfeld der Öffentlichkeitsarbeit. Hier zeigt sich, dass die Organisation in Unternehmen, in denen die Öffentlichkeitsarbeit systematisch als Stabsstelle agiert oder aber als Anhängsel im Marketing dahinvegetiert, nicht mehr funktioniert. Es ist schon witzig: Würde man es richtig machen, würde das dazu führen, dass man in jedem Unternehmen eine Matrixorganisation einbauen muss. Ein Kommunikationssystem hätte dann die Organiationsform von Unternehmen verändert. Verrückte Überlegung.
Was also ist Prozessintegrierte Kommunikation?
Bei diesem Definitionsversuch lehne ich mich bewusst an den bereits gut eingeführten Begriff der Integrierten Kommunikation an. Allerdings wird dieser Begriff so erweitert, dass Kommunikation nicht länger „nur“ das Management der gesamten internen und externen Kommunikation, mit dem Ziel der konsistenten Unternehmenskommunikation umfasst. Prozessintegrierte Kommunikation geht eine Ebene tiefer und fragt: Welche Prozesse und dadurch manifestierte (Unternehmens-)Kulturen sind nötig, um ein integriertes Kommunikationserlebnis bei Kunden/Stakeholdern zu erschaffen. Hier wird z.B. berücksichtigt, dass im Web jeder Mitarbeiter ein Brandmanager und PR-Beauftragter ist (im Übrigen viel Glaubwürdiger als jede Kampagne und jeder Pressesprecher). Erst wenn in der gesamten Prozesskette die Voraussetzungen für ein integriertes Unternehmensbild geschaffen sind, kann ein sinnvolle weil glaubwürdige und widerspruchsfreie Außenkommunikation einsetzen.
Zusammenfassung: Was ändert sich.
Bisher erschien es mir oft so, dass Unternehmen zuerst ein Image „synthetisieren“ und dann versuchen, dieses Image zu leben. Nach der Theorie der Prozessintegrierten Kommunikation, müssten zuerst die im Prozess eingespannten Unternehmensfelder (z.B. Produktmanagement, Customer-Service etc.) „auf Linie“ gebracht werden und erst dann kann diese Linie auch kommuniziert werden.
Das bedeutet nicht, dass alle Mitarbeiter immer einer Meinung (das wäre dann die des Vorstandes) sein müssen. Es kann ja auch sein, dass eine Streitkultur durchaus Teil einer (öffentlichen) Unternehmenskultur sein kann. Es muss aber unbestreitbar einige wenige Grundsätze geben, auf die alle verpflichtet sind. Z.B: „Wir nehmen immer jeden Kunden ernst“ oder „Unser Anspruch ist, das Beste Auto zu bauen“. Es darf durchaus Differenzen geben, wie diese Maximen zu erreichen sind. Wer sich aber nicht 100% mit diesen identifiziert, hat dann in diesem Unternehmen nichts mehr verloren. Das zeigt, wie Prozessintegrierte Kommunikation auch auf den HR-Bereich durchschlägt.
In diesem tiefenintegerierten Kommunikationsprozess muss auch die Beratung (z.B. durch eine Agentur) ganz anders ablaufen. Der Berater muss viel tiefer in die Kultur des Unternehmens, in die Produktentwicklung und das Management einwirken können. Idealerweise ist der Kommunikationsberater von heute daher nicht mehr in einer (reinen) PR-Agentur anzutreffen, sondern bei einer Unternehmensberatung. Denn nur, wenn der Berater alle relevanten Unternehmensbereiche im Blick und verstanden hat, ist er in der Lage eine entsprechende und passende Prozessintegrierte Kommunikation mit aufzubauen.
Noch eine Einschränkung:
Ich glaube, das Prozessintegrierte Kommunikation nicht unbedingt einen allgemeinen Gültigkeitsansatz hat. Ob man damit mehr „Ace, die milde Bleiche“ verkauft, als mit einer gewaltigen Werbekampagne, die die Marke gleichsam in die Hirne der Konsumenten prügelt, wage ich zu bezweifeln. Wenn es aber um emotionalere Produkte geht, um Produkte, die mehr verlangen, als sich im Supermarkt-Regal für ein Klopapier oder ein Waschmittel zu entscheiden; ich glaube, da hätte prozessintegrierte Kommunikation durchaus ihren Sinn.
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Wenn es so wäre, mir auch!
Naja, also ich möchte nicht auf Telekommunikation verzichten, egal ob ich das wirklich brauche oder nicht. Mir scheint, dass es in unserem Wirtschaftssystem nur zwei mögliche Innovationstreiber gibt: Konsum und Krieg. Und da muss ich sagen, ist mir ersteres lieber.
Ein wenig scheint mir das ein Luxusproblem zu sein. Als von den meisten Menschen knapp 100 % des verfügbaren Einkommens für das absolut Lebensnotwendige ausgegeben werden mußten, brauchten die Unternehmen kaum PR und kaum Marketing-Anstrengungen, weil ihre Produkte ohnehin gekauft wurden und die Produktionspalette auch auf diesen Bedarf ausgerichtet war. Heute ist offenbar nicht nur bei den Reichen noch genügend für überschüssig gehaltene Kaufkraft oder zumindest vorgespiegelte Kreditwürdigkeit vorhanden, die man den Leuten irgendwie entziehen muß. Die Mobilfunkbranche ist dafür ein hervorragendes Beispiel auf kleiner Ebene, das größere Rad haben in ähnlicher Manier und mit erschreckendem Erfolg die Banker gedreht. Insofern war der kürzliche Vodafone-Flop ein für die PR-Branche typisches Versuch-und-Irrtum-Phänomen. Aber wäre es wirklich besser, wenn Vodafone es besser gemacht hätte? Hätten sich dann noch mehr Leute bereitgefunden, etwas zu kaufen, was sie nicht so notwendig brauchen oder sich eigentlich gar nicht leisten können? Oder war Vodafone nur zu ehrlich? Bei der heutigen Informationsdichte im Pull-Verfahren kann die Push-PR glücklicherweise trotz netter Verpackung immer weniger auf Leichtgläubigkeit und Dummheit des Verbrauchers bauen, einer der wenigen guten Aspekte der Krise.