“Bei Anschlag tritt der Trauerfall ein”

Jochen* war 2006 für vier Monate in Afghanistan und hat dort im Camp Warehouse (Kabul) für das Bundeswehrradio „Radio Andernach“ die Morning-Show „Guten Morgen Kabul“ moderiert. Mit dem Grenzpfosten sprach er über seine Zeit vor dem Mikro in Kabul, über Trauermusik bei Anschlägen und Tabus im Militärradio.

Jochen, wie ist das Bundeswehrradio organisiert?
Das Bundeswehrradio-Rahmenprogramm sendet eigentlich von Deutschland aus, genauer gesagt aus der Nähe von Koblenz. Von dort wird 24 Stunden am Tag gesendet, sieben Tage die Woche. In den Einsatzländern der Bundeswehr gibt es „Regionalstudios“, die zu bestimmten Zeiten ein extra Programm senden und von wo aus auch das Radio per UKW-Frequenz im Einsatzland bzw. im Camp ausgestrahlt wird. In Afghanistan wird aufgrund der Zeitverschiebung (+2,5 oder auch +3,5 Stunden – je nach Sommer- bzw. Winterzeit) eine Morning-Show live produziert. Einmal, damit in Deutschland niemand um 4 Uhr morgens am Mikro sitzen muss und zum anderen, weil die Moderatoren auch die Nähe zu ihrem Zielpublikum haben und wissen, was passiert.

Was ist die übergeordnete Aufgabe eines solchen Radioprogramms. Was will die Bundeswehr erreichen?
Das Radio soll eine „Brücke zur Heimat“ schlagen. Es soll die Soldaten sowohl unterhalten, als auch informieren, was sich zur Zeit in ihrer Heimat tut. Zusätzlich bietet das Radio „Angehörigen“ die Möglichkeit, ihre Verwandten, Bekannten oder Freunde im Einsatz zu grüßen und/oder sich ein Lied für sie wünschen. Was teilweise die seltsamsten Blüten zum Vorschein bringt, gerade ältere Angehörige wünschen sich zum Beispiel sehr oft „Junge komm bald wieder“ – was eigentlich niemand mehr hören kann. Die Morning-Show in Kabul hatte zu meiner Zeit auf jeden Fall einen sehr unterhaltsamen Charakter. Wir haben versucht, die Leute morgens ein wenig von ihrem Alltag abzulenken und zu bespaßen – genau so, wie es eine Morning-Show hier in Deutschland auch macht. Die Soldaten sollten morgens nicht gleich vor Augen – besser gesagt vor Ohren – geführt bekommen, dass sie 6.000 Kilometer von zu Hause entfernt sind.

Kommen die Taliban in den Sendungen vor?
Einfache Antwort: Nein.

Was komisch erscheint, weil die ja sonst recht häufig in Afghanistan vorkommen sollen. Warum werden die Taliban ausgeblendet?
Naja, was soll man denn über sie erzählen? Dass sie da sind, weiß jeder. Dass sie hinter Anschlägen stecken auch. Ich persönlich finde, gerade in Afghanistan selbst muss man ihnen ja nicht noch mehr „Publicity“ geben, als sie eh schon haben. Und in einer Unterhaltungssendung, wie es die Morning-Show ist, haben sie noch weniger etwas verloren.

Wie geht man im „Truppenradio“ mit eigenen Verlusten oder Meldungen von Anschlägen oder Kampfhandlungen um?
Ein Anschlag lässt sich natürlich nicht verheimlichen, so etwas spricht sich auch schnell im Lager herum. Aber es wurde weder gesagt, „Die bösen Taliban haben uns angegriffen“, noch wurde über Opferzahlen gesprochen. Gerade auch, um den Taliban nicht einen „Erfolg“ zu attestieren. Die konnten den Sender natürlich genauso empfangen, wie jeder andere im Umkreis des Senders. Im Falle eines Anschlags, tritt beim Radio der so genannte „Trauerfall“ ein. Auch dafür gab es klare Regeln. Waren Verbündete innerhalb der ISAF  betroffen, wurde auf ruhige Musik umgestellt, die Comedy-Stücke (wie z.B. „Der kleine Nils“ usw.) aus dem Programm entfernt und die Moderation auf Information beschränkt – also keine Bespaßung mehr. War die Bundeswehr direkt betroffen, wurde zusätzlich komplett auf die Moderation verzichtet und nur ruhige Musik gespielt.
Auch auf Kampfhandlungen oder Truppenbewegungen wurde natürlich nicht eingegangen – vor allem, um die Truppen zu schützen.

Gibts es denn eine Liste von Songs, die man nciht spielen darf? Mir würde da Imagine von John Lennon einfallen, oder auch 99 Luftballons von Nena.
Es gibt eine schwarze Liste – da sind aber keine „Anti-Kriegssongs“ drauf. „99 Luftballons“ oder „Imagine“ sind überhaupt gar kein Problem. Auch wenn die Bundeswehr inzwischen in Kampfhandlungen verwickelt ist, sie bleibt nach dem Gesetz eine Verteidigungsarmee. Das ISAF-Mandat ist eins zur Friedenssicherung und zum Aufbau von Polizei, Schulen, Infrastruktur. Auf der „schwarzen Liste“ stehen indizierte Lieder und unter anderem auch Lieder der Böhsen Onkelz. Was damit zusammenhängt, dass die Onkelz immer noch oft mit der rechten Szene verbunden werden. Wobei ich im Einsatz festgestellt habe, dass Lieder wie „Mexiko“, „Nur die besten sterben jung“ oder „Wieder mal nen Tag verschenkt“ bei dem einen oder anderen durchaus beliebt sind.

Gibt es eine (Vor)Zensur?
Es gibt eine Art (Vor-)Zensur. Themen wie Sex und Drogen kommen im Programm nicht vor. Wie eben schon erläutert, natürlich auch keine Truppenbewegungen und Ähnliches. Gerade beim Thema Sex ist das auch mehr als verständlich. Die Soldaten sind monatelang von zu Hause, von der Partnerin oder dem Partner, getrennt. Das wäre für die Moral sicher nicht zuträglich. Da die Sendungen zum Großteil live produziert werden, ist eine direkte Zensur natürlich schwierig. Da ist jeder Moderator selbst gefordert, die Richtlinien einzuhalten.

Gibt es im Bundeswehrradio noch andere Tabu-Themen?
Eine negative Kommentierung von Bundeswehrentscheidungen kommt natürlich nicht in Frage. Auch alles, was die Vorgesetzten in Verruf bringen könnte oder sie bloßstellen würde, findet nicht statt. Das bezieht sich sowohl auf direkte Vorgesetzte, als natürlich auch Generalität, Verteidigungsminister oder Bundeskanzler(in). Ich kann mich noch daran erinnern, dass beim Radio diskutiert wurde, ob man denn nun einen Comedy-Reihe senden könnte, die Angela Merkel parodierte.

Würdest Du das Radioprogramm als PR-Maßnahme oder als journalistisches Format verstehen?
Ich würde es als journalistisches Format verstehen. Stündlich gibt es Nachrichten („Bundeswehr, Deutschland und die Welt“), zusätzlich noch Regionalnachrichten aus dem Bundesland, das zu der Zeit das größte Einsatzkontingent stellt und noch Beitragsplätze, die von der DPA oder anderen Agenturen gekauft werden. Ansonsten kann jeder Moderator, wenn er seine Sendung zusammen stellt, auch selbst bestimmen, in welche Richtung „seine“ Sendung gehen soll. Ich habe mich zum Großteil immer mit Unterhaltung beschäftigt, andere waren sehr informationslastig.

Wie verstehen die Soldaten vor Ort das Programm. Ist das für sie realitätskonstruierend oder weiß man, dass hier nur gute Laune gemacht werden soll?
Es ist für sie zum Großteil abschalten und Ablenkung. Und sie schätzen das. Es ist ja auch nicht so, dass wir in der Morning-Show „verheimlicht“ haben, in Afghanistan zu sein oder künstlich versucht haben, Deutschland „zu spielen“. Spätestens beim Wetterbericht nach den Nachrichten war jedem klar, dass er nicht in Deutschland ist. Wir haben auch über das Lagerleben berichtet, was gibt es im Küchenzelt zu Mittag, wo gibt es vielleicht mal wieder eine Party. Das wichtigste an dem Job ist, dass man eine natürliche Fröhlichkeit hat. Wenn man bei der guten Laune authentisch rüber kommt, nimmt einem das auch jeder ab. Genauso wie jeder sofort aufgesetzte Fröhlichkeit bemerken würde. Aber das ist bei jedem Formatradio so.

Eure Sendung hieß „Guten Morgen Kabul“. Eine Remineszenz an den Antikriegsfilm Good Morning Vietnam. Eine Provokation?
Wie es zu der Entstehung dieses Namens kam, kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, wer auf die Idee kam und was da genau hinter steckte.

*Der volle Name ist der Redaktion bekannt.

Bild Quelle: http://www.radio-andernach.bundeswehr.de

Ein Gedanke zu „“Bei Anschlag tritt der Trauerfall ein”

  • 09/15/2010 um 13:58
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    Ich finde das ist eine tolle Sache mit dem Bundeswehrradio.
    Es bietet den Soldaten nicht nur Ablenkung, sondern verschafft ihnen auch eine Verbindung zur Heimat. Ich kann mir vorstellen, dass es unheimlich motiviert, bekannte Musik zu hören und Neuigkeiten aus der Heimat zu erfahren. So lässt sich die harte Zeit dort unten sicher besser überstehen.

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